Der Hamburger SV hatte im deutschen Fußball über Jahrzehnte den Ruf, Talente aus der eigenen Stadt und der Metropolregion zu verkennen. Andreas Brehme, Stefan Effenberg, Ivan Klasnic, Alexander „Fußballgott“ Meier, Max Kruse – alle in Hamburg oder Umgebung geboren – spielten beim HSV keine oder nur eine geringe Rolle. Das ist lange her. Inzwischen ist der HSV-Campus eine viel beachtete Talentschmiede.
(C4T / cger). 7. November 2021. Ein verregneter Sonntag in Hamburg. Ich habe trotzdem den Weg zum „kleinen“ Hamburger Derby zwischen der U23 des HSV und Altona 93 in der Regionalliga Nord (3:0) genommen. Fünfter gegen Elfter, aber was soll’s? Schließlich war die zweite Mannschaft der Hamburger 2003 der erste Verein, den ich in der Hansestadt umfänglich redaktionell begleiten durfte. Trainer war damals ein gewisser Thomas Doll („Dolly“), mit dem ich später auch bei den HSV-Profis arbeiten konnte. Doch das ist eine andere Geschichte.
Der neue „Dolly“ heißt Pit Reimers
Heute ist Pit Reimers der Coach und die von BILD schon am 25. Oktober angepriesenen „Campus-Juwelen“ des HSV wollte ich mir unbedingt mal live auf dem Spielfeld ansehen. Und was soll man sagen? Diese junge HSV-Mannschaft weckt Erinnerungen an das Team unter Thomas Doll mit Talenten wie dem aus den USA zu HSV II geholten Benny Feilhaber (inzwischen 36), der es später in die englische Premier League schaffte, Besart Berisha (u. a. später FC Burnley und AC Horsens) und Alexander Laas (37), der mit dem HSV 2006/2007 in der Champions League spielte.
Das war lange, bevor Visionäre wie Alexander Otto 2015 den HSV-Campus aus der Taufe hoben. Seitdem ist der Volkspark auch die Heimat des HSV-Nachwuchs-Leistungszentrums. Ein Spieler, der gegen den SC Paderborn (2:1) seine Zweitliga-Premiere gab, und vom HSV-Campus kommt, ist Faride Alidou (20). Der hoch talentierte Flügelstürmer kam vor neun Jahren von Einigkeit Wilhelmsburg zum HSV-Nachwuchs. In der U19 wohnte er auch auf dem Campus. Im Sommer trainierte er schon bei den HSV-Profis mit, ehe Cheftrainer Tim Walter (45, „Mein Gott, Walter“) ihm gegen Paderborn erstmals das Vertrauen schenkte. „Tim Walter hatte ihn seit einigen Wochen auf dem Zettel“, sagte HSV-Sportvorstand Jonas Boldt (45) bei Alidous Profi-Debüt.
Der HSV steht jetzt endlich auch für Talentförderung
Vor ihm hatten schon Josha Vagnoman (20), Jonas David (21, in den ersten 13 Zweitliga-Partien immer eingesetzt) und Anssi Suhonen (20, Stand 7. November 2021: Sieben Zweitliga-Spiele) den Sprung ins Profiteam geschafft. Und sie dürften nicht die letzten Spieler sein, die der HSV auf dem langen Weg zurück in die Bundesliga ins A-Team hochzieht.
Wie Robin Valesco (19). Der Linksaußen ist mit fünf Treffern aus elf Regionalliga-Spielen der mit Abstand beste Torschütze der Hamburger U23. Oder der torgefährliche Innenverteidiger Valon Zumberi (18). Aus der eigenen U19 hoch gezogen, durchlief Zumberi beim HSV alle Jugendmannschaften. Absoluter Perspektivspieler für CHANCE4TALENTS – nicht nur nach den Eindrücken gegen Altona 93: Juho Kilo (19). Der Finne ist der beste Vorarbeiter im Team und ist bereits seit 2018 in Hamburg. Für den EM-Neuling von 2021 hat er schon in der U21 gespielt. Mittelstürmer Ware Pakia (19) kam ebenfalls 2018 aus der Jugend von Borussia Dortmund. Timon Burmeister, Rechtsaußen und aus der U19 des VfL Wolfsburg geholt, ist auch erst 18.
Hamburgs großen Teams fehlten die Local Players
Der HSV kann jetzt endlich auch Talente. Wer an die Erfolgself der 1980er-Jahre oder an das Team denkt, dass im September 2000 mit der Champions-League-Premiere ganz Europa aufhorchen ließ, stellt fest, dass diese fast komplett ohne Eigengewächse auskamen. Am Ende, beim unwürdigen Bundesliga-Abstieg 2018, machten viele HSV-Kritiker diesen an der scheinbar ewigen „Söldnertruppen“-Mentalität der Hamburger fest. Ein Argument, das man bei der hohen Anzahl an Transfer-Fehlgriffen in den letzten Bundesliga-Jahren der Hanseaten nicht vom Tisch kehren kann.
Optimistisch gedacht: Bei der nächsten großen HSV-Mannschaft wird das anders sein. Besser gesagt: Fragt mich in einem Jahr nochmal nach den Jungs aus dem Regen-Derby gegen Altona.
In diesem Sinne: CHANCE4TALENTS wünscht allen Spielern, Trainern und Klubs ein erfolgreiches Wochenende. Viel Glück!